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Fusionskontrolle: EuGH stärkt Recht auf Einsichtnahme in Kommissionsdokumente

In bereits abgeschlossenen Zusammenschlussverfahren darf die EU-Kommission involvierten Unternehmen die Einsicht in ihre internen Dokumente nicht ohne besonderen Grund verwehren. Das Offenlegen interner Entscheidungsprozesse verleihe den EU-Organen in den Augen der Unionsbürger größere Legitimität, begründet der Europäische Gerichtshof sein aktuelles Urteil.
Von Redaktion
22. Juli 2011

Der jetzigen Entscheidung des EuGH ging ein Verfahren um den Zusammenschluss der britischen Gesellschaft MyTravel (damals noch Airtours) mit ihrem Wettbewerber First Choice voraus. Diese Fusion wurde 1999 zunächst von der Kommission abgelehnt, das Gericht (vormals EuG, die dem EuGH vorgelagerte Instanz) erklärte diese Kommissionsentscheidung im Juni 2002 jedoch für nichtig.

Eine Arbeitsgruppe der Kommission – bestehend aus Beamten ihrer Generaldirektion „Wettbewerb“ und ihres Juristischen Dienstes – sollte daraufhin klären, ob ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts sinnvoll sei sowie die Auswirkungen des Urteils auf die Verfahren zur Fusionskontrolle oder in anderen Bereichen beurteilen. Diese Arbeitsgruppe verfasste einen Bericht an das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission. Letztlich erhob die Kommission keine Rechtsmittel.

MyTravel beantragte Zugang zu dem Bericht der Arbeitsgruppe, zu den Dokumenten zu seiner Vorbereitung sowie zu den Dokumenten in der Akte über den Zusammenschluss, auf die sich der Bericht stützte.

Die Kommission verweigerte dies unter Berufung auf eine mögliche Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses durch eine Veröffentlichung der Dokumente und auf den Schutz der Rechtsberatung. Das Gericht wies die Klage von MyTravel gegen diese Entscheidung der Kommission ab.

Schweden beantragte daraufhin beim EuGH die Aufhebung dieses Urteils des Gerichts.

Die Entscheidung des EuGH

Die Verordnung über den Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (VO (EG) 1049/2001) gibt der Öffentlichkeit ein umfangreiches Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe der EU. Sie enthält jedoch eine Regelung über Ausnahmen, wonach die Organe den Zugang zu einem Dokument unter anderem dann verweigern können, wenn durch dessen Verbreitung der Entscheidungsprozess und der Schutz der Rechtsberatung beeinträchtigt würde, es sei denn, ein überwiegendes öffentliches Interesse rechtfertigt diese Verbreitung (vgl. Art 4 VO (EG) 1049/2001).

In seiner Entscheidung stellt der EuGH zunächst klar, dass einige der betreffenden Dokumente zwar zur Verwaltungstätigkeit der Kommission gehören und dazu kein ebenso breiter Zugang erforderlich ist wie bei der gesetzgeberischen Tätigkeit. Dennoch liege auch die Verwaltungstätigkeit nicht außerhalb des Anwendungsbereichs der Vorschriften über den Zugang zu Dokumenten.

Diese Vorschriften sehen Ausnahmen vor, die von dem Grundsatz des größtmöglichen Zugangs der Öffentlichkeit zu Dokumenten abweichen und daher eng auszulegen und anzuwenden seien. Daher müsse ein Organ bei Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument grundsätzlich erklären, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument das jeweilige geschützte Interesse tatsächlich beeinträchtigen könnte – hier insbesondere den Schutz des Entscheidungsprozesses der Kommission und den Schutz der Rechtsberatung der Kommission durch die Arbeitsgruppe.

In Bezug auf die Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses des Organs weist der EuGH darauf hin, dass MyTravel den Antrag auf Zugang zu den Dokumenten nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gegen das Urteil des Gerichts gestellt hat. Der EuGH kommt daher u.a. zu dem Ergebnis, dass die Kommission die besonderen Gründe angeben hätte müssen, weshalb die Verbreitung der Dokumente den Entscheidungsprozess der Kommission ernstlich beeinträchtigt hätte, obwohl das Verfahren, auf das sich diese Dokumente bezogen, bereits abgeschlossen war. Die Kommission habe jedoch keine Beweise geliefert, dass der Zugang zu den Dokumenten tatsächlich eine Auswirkung auf andere spezifische Verfahren gehabt hätte.

Hinsichtlich der Ausnahme zum Schutz der Rechtsberatung hatte die Vorinstanz insbesondere befunden, dass bei Verbreitung der internen Mitteilungen des Juristischen Dienstes der Kommission die Gefahr bestanden hätte, dass an die Öffentlichkeit Informationen über den Stand der internen Diskussionen zwischen der Generaldirektion „Wettbewerb“ und dem Juristischen Dienst über die Rechtmäßigkeit der früheren Entscheidung der Kommission gelangten, mit der 1999 die betreffende Fusion für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt worden sei, was die Rechtmäßigkeit späterer Entscheidungen in demselben Bereich hätte in Frage stellen können.

Hierzu verweist der EuGH darauf, dass es gerade die von der VO (EG) 1049/2001 geforderte Transparenz ermögliche, die Unterschiede zwischen mehreren Standpunkten offen zu erörtern, und so dazu beitrage, den Organen in den Augen der Unionsbürger größere Legitimität zu verleihen; es sei vielmehr gerade ein Mangel an Information und Diskussion, der die Unionsbürger an der Legitimität einer Entscheidung bzw. des gesamten Entscheidungsprozesses zweifeln ließe.

Der EuGH gelangte somit zu dem Ergebnis, dass die Kommission in ihren Entscheidungen die Ausnahme zum Schutz ihres Entscheidungsprozesses und die Ausnahme zum Schutz der Rechtsberatung nicht zutreffend angewandt hat; in diesen Punkten wurde das Urteil des Gerichts daher aufgehoben und die Entscheidungen der Kommission für nichtig erklärt.

Da das Gericht aber nicht alle Argumente der Kommission geprüft hatte – insbesondere bezüglich anderer Ausnahmen zum Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten –, verwies der EuGH die Sache zu erneuter Entscheidung an das Gericht zurück.

Link zur Presseaussendung des EuGH vom 21. 7. 2011

(LexisNexis Redaktion, red)

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