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Das Drei-Tunnel-Paradigma

Ein Vorschlag für ein neues Sicherheitskonzept auf Flughäfen sorgte letzte Woche für einige Aufregung. Die Debatte aus der Welt des Flugwesens sagt auch etwas über die Natur von Compliance-Management-Systemen aus.
Von Mag. Klaus Putzer
05. Januar 2011

Mitten in der reiseintensiven Weihnachtszeit lancierten der deutsche Flughafenverband ADV und der Airline-Verband IATA Reformvorschläge für die Sicherheitschecks auf Flughäfen. Anstatt alle Fluggäste gleich zu behandeln, solle nach dem Vorbild Israels "Profiling“ angewendet werden. Die Passagiere sollten in verschiedene Risikogruppen eingeteilt werden. So der Vorschlag von ADV-Präsident Christoph Blume in einem Gespräch mit der "Rheinischen Post". Ein "Drei-Tunnel-System" hatte zuvor schon IATA-Generaldirektor Giovanni Bisignani angedacht. Dabei wäre Tunnel eins für Vielflieger, Tunnel zwei für "normale“ Reisende und Tunnel drei für "potentiell gefährliche" Flugreisende vorgesehen. Als Faktoren für "Gefährlichkeit" brachten die Verbände unter anderem Herkunft, Religion, Alter, Lebenssituation und Reiseroute ins Spiel.

Die Ideen stießen auf eine breite Front der Ablehnung, deren Schattierungen von Kopfschütteln bis hin zu heller Empörung reichten. Grüne und Linksparteien erhitzten sich ob der zu erwartenden Diskriminierung einzelner Flugpassagiere. Vertreter der Polizeigewerkschaft trauen schlecht ausgebildeten und bezahlten Security-Kräften wirksames Profiling schlichtweg nicht zu. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar monierte die "völlig undurchsichtigen Kriterien“ der Unterscheidung in "good guys" und "bad guys".

Die Kritiker haben alle auf ihre Weise schon recht. Trotzdem ist der Vorstoß von ADV und IATA im Prinzip sehr rational. Er richtet sich nach einem Grunderfordernis jedes guten Risiko-Management-Systems: Effizienz.

Teile der Öffentlichkeit scheinen das übersehen zu haben. Sie sind einem – interessanten – Missverständnis erlegen. So titelte auch die österreichische Kronenzeitung: "(…)Fluggäste nach Risiko einteilen? Fluglinien und Airports verschärfen ihren Kampf gegen den Terror! (…)". Dabei war von einer "Verschärfung des Antiterrorkampfs" nirgendwo die Rede! Vielmehr wird Chistoph Blume von derselben Zeitung mit dem Satz zitiert: "Auf diese Weise können Kontrollsysteme zum Wohle aller Beteiligten effektiver eingesetzt werden."

Mehr Effizienz lautet also das Ziel, nicht mehr Sicherheit! 

Die Erfahrung zeigt: In einem Umfeld höchst ausgeklügelter Sicherheitssysteme wie im Flugwesen entsteht der Ernstfall nicht aus einfach kategorisierbaren "Standardsituationen“ heraus, sondern ist das Resultat einer Verkettung von Lücken, unglücklichen Missverständnissen, Fehlern und menschlichem Versagen. Die Lektüre diverser Flugunfallberichte belegt das eindrucksvoll. Terroranschläge sind ebenfalls solche seltenen Ernstfälle. Die Attentate von New York waren das Ergebnis jahrelanger minutiöser Vorbereitungen. Und gerade drei ominöse Tunnel sollten nun gelernte Terroristen vor ein unüberwindbares Hindernis stellen?

Das ist schwer vorstellbar. Und – siehe oben – auch nicht beabsichtigt.

Der Vorstoß zeigt viel eher, dass für ADV und IATA die Kosten-Nutzen-Relation der Sicherheitsaufwendungen im Flugverkehr nicht mehr stimmt. Drei Tunnel erhöhen die Sicherheit mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht, sie verringern sie aber vermutlich auch nicht. Was sie dagegen sehr wohl bringen: Mehr Reisekomfort für einen Großteil der Kundschaft. Weniger "Kosten“ für Reisende in Form von in Warteschlangen vertaner Zeit. Mehr Effizienz, weil Risiken abgestuft betrachtet werden und nicht pauschal. Auch die Pilotenvereinigung Cockpithat die Vorschläge inzwischen gegen den allgemeinen Mainstream verteidigt. Wohl nicht wegen ihrer besonderen Brillanz oder Ausgereiftheit, sondern weil die aktuelle Situation anscheinend nach einer Verbesserung verlangt.

Compliance-Management-Systeme tendieren auch in diese Richtung: Kosten und Nutzen müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Andernfalls wird das "Geschäft" geschädigt, die Akzeptanz bei den eigenen Mitarbeitern unterminiert. Gleichzeitig bedeutet die Akzeptanz des Effizienzgedankens, dass das Ziel von Compliance nicht die "absolute" Sicherheit sein kann. Effizienzsteigerung heißt auch, Risiken zu relativieren, abzustufen und Ernstfälle, die nur mit unverhältnismäßigem Aufwand verhinderbar wären, bis zu einem gewissen Grad einzukalkulieren.

Im Bewusstsein, dass man mit ihnen – sollten sie denn eintreten – umgehen kann.

Autoren

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Mag. Klaus Putzer

Mag. Klaus Putzer war von 2010 bis 2023 Redakteur bzw. Chefredakteur der Compliance Praxis. Zuvor war er in mehreren Verlagen als leitender Redakteur im Magazinbereich tätig bzw. arbeitete als frei...