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Die Schattenwelle der Corona-Korruption

In den letzten Monaten mussten politische Entscheidungsträger unter Zeitdruck, Unsicherheit und gestiegener Beobachtung schnell Antworten auf neuartige Fragen finden. In der Folge wurden bald Korruptionsvorwürfe im Bereich der öffentlichen Beschaffung publik. Es steht zu befürchten, dass sich im Schatten dieser ersten Welle auch in der Privatwirtschaft Bestechungsdelikte manifestieren. 
Von Sebastian Dencker Msc., CFE
24. Februar 2021 / Erschienen in Compliance Praxis 1/2021, S. 10

Wahrscheinlich ist es inzwischen so, dass wir alle unsere positiven Assoziationen zum Begriff „Welle“ anpassen mussten. Gedanken an Meeres-, Erfolgs- und andere schöne Wellen dürften inzwischen bei vielen Menschen solchen an die erste, zweite oder dritte Pandemiewelle und die damit verbundene Abfolge an Lockdowns gewichen sein. Dabei ist es aber wie immer notwendig, den Blick nicht nur auf das Vordergründige zu richten, sondern auch den Hintergrund im Auge zu behalten. Gerade im Bereich Korruption hatten der Hintergrund bzw die Schattenwelt immer schon eine besondere Bedeutung.

Die erste Welle kam überraschend

Die erste Welle der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehende erste Lockdown überraschte die Mehrheit der Bevölkerung. Zwei wesentliche Herausforderungen waren gleichzeitig zu bewältigen.

In erste Linie war da die Besorgnis um die Gesundheit. Keiner wusste, was kommen würde, denn vorherige, ebenfalls durch Coronaviren ausgelöste Epidemien waren „relativ“ glimpflich verlaufen. Dieses Mal war man sich unsicher, was die massive Lockdown-Reaktion auf das neuartige Virus genau bedeuten würde; und zwar einerseits in Bezug auf die eigene Gesundheit und die der Familie und andererseits auf das Wohlergehen der Gesamtgesellschaft. Zur Gesundheitskrise gesellte sich schnell die Besorgnis um die Konstitution der Wirtschaft und die finanziellen Folgen des Lockdowns.

Tatsächlich kamen zunächst Antworten auf die zweite Besorgnis, indem Regierungen schnell enorme Geldsummen für das „gesundheitliche“ Überleben der Volkswirtschaften zur Verfügung stellten. Auf einmal standen hunderte Millionen Euros an Staatshilfen für betroffene Unternehmen bzw Einzelpersonen zur Verfügung und im staatlichen Gesundheitswesen wurden nie dagewesene Summen in die Beschaffung von Medizinprodukten, Medikamenten und Impfungen gepumpt.

Der Geruch von Korruption lag sofort in der Luft

Jedem Compliance Professional dürfte sofort klar geworden sein, dass diese Summen auch das Interesse von Glücksrittern, Kriminellen und politischen Seilschaften wecken würde und dass damit das inhärente Risiko von Korruption, Interessenkonflikten, Vetternwirtschaft usw steigen würden. In der EU finden schon in „normalen Zeiten“ etwa 30% der Korruption im Bereich Medizin statt1. Demzufolge war es auch nicht überraschend, dass schnell gewisse Unregelmäßigkeiten bekannt wurden (siehe Infobox). Insofern wurde die erste Welle möglicher Corona-Korruption relativ schnell wahrgenommen. In ihrem Schatten dürfte sich jedoch bereits eine zweite Welle aufbauen, die bisher noch kaum sichtbar geworden ist.

Baut sich eine Bestechungswelle im Schatten auf?

Nach mehreren Lockdown-Wellen werden immer mehr Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten, insbesondere dann, wenn die staatlichen Unterstützungen auslaufen. Spätestens dann werden Mitarbeiter in solchen Unternehmen damit anfangen, sich Sorgen um das Überleben ihres Arbeitgebers und damit ihres Arbeitsplatzes zu machen. Wenn man an dieser Stelle die Theorie der ­Wirtschaftskriminalität bemüht, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass das Risiko für Korruption in der Privatwirtschaft steigen muss.

Das Betrugsdreieck (Fraud Triangle)24 beschreibt drei Dimensionen, die Betrug begünstigen. Diese sind Druck/Motiv, Gelegenheit und persönliche Rechtfertigung. Es dürfte offensichtlich sein, dass sowohl die Dimensionen „Druck/Motiv“ wie auch die Möglichkeiten zur „Persönlichen Rechtfertigung“ in der aktuellen Situation enorm angestiegen sind. Damit bleibt nur die „Gelegenheit“ als einzige Variable konstant und möglicherweise kontrollierbar. Dabei sollte auch ein weiterer Gedanke nicht unberücksichtigt bleiben. Der philosophische Hintergrund von Bestechung als „Straftat im Amt“ und dem Pendant von „Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr“ ist durchaus unterschiedlich zu bewerten, denn einige Jurisdiktionen haben den Schaden oder Nutzen von Vorteilsnahme in der Privatwirtschaft historisch differenziert betrachtet. Anders ausgedrückt, solange die Eigentümer eines Unternehmens über eine Vorteilsgabe oder -annahme informiert sind und diese im Austausch für ihren Geschäftsnutzen billigen, entstünde ihnen kein Schaden.35 Dementsprechend wurde diese Ansicht auch durch entsprechende Steuergesetze gestützt. Übrigens hat die Schweiz erst im November 2020 die Möglichkeit zur steuerlichen Absetzbarkeit von Bestechungsgeldern abgeschafft, die von Unternehmen an Privatpersonen gezahlt werden; bis ins Jahr 1996 galten in etwa der Hälfte der OECD-Länder Bestechungsgelder an ausländische Beamte als steuerlich abzugsfähig4.6

Insofern ist es denkbar, dass weiterhin der Tatbestand von Bestechlichkeit manchmal mit dem Konzept der Pflege von Geschäftsbeziehungen verwechselt werden könnte. Natürlich wissen wir heute, dass der volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Schaden von Bestechung in der Privatwirtschaft enorm ist und folgerichtig der strafrechtliche Tatbestand eingeführt wurde5.7 Es besteht daher kein Zweifel, dass die Aufsichtsbehörden die COVID-19-Pandemie nicht als Entschuldigung für rechtswidrige Aktivitäten akzeptieren werden. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich Mitarbeiter in der Privatwirtschaft durch die öffentlich sichtbar gewordene Korruption zu Fehlverhalten animiert fühlen könnten.

Das Corona Bestechungs-Paradigma

Die folgerichtige Frage ist demnach, wie mögliche Bestechungsrisiken in der Privatwirtschaft aussehen könnten6. Grundsätzlich sind dabei wohl zwei Szenarien zu unterscheiden: „Überleben“ und „Chancen nutzen“. Mit anderen Worten, es wird einerseits Unternehmen geben, die aus Verzweiflung alles versuchen, um ihr Überleben zu sichern, und andererseits profitierende Firmen, die neue Chancen nutzen wollen. Zunächst wäre daher der Faktor „Gegebene Zuwendungen“ zu betrachten:

Outbound Bribery

Neue Geschäfte abzuschließen ist ein Schlüssel für den geschäftlichen Erfolg bzw das Überleben von Unternehmen und es besteht daher das Risiko von unangemessener Einflussnahme auf die Verantwortlichen des Einkaufs potenzieller Kunden. Dieses Risiko mag sogar dadurch verstärkt worden sein, dass Vertriebsmitarbeiter nur noch restriktiv oder gar nicht mehr reisen dürfen, um ihre Produkte direkt vorzustellen und zu verkaufen. Andererseits erleben einige Branchen gerade in der Krise eine besondere Nachfrage nach ihren Produkten und wissen zum Teil nicht, wie sie den Bedarf decken sollen. Das liegt häufig daran, dass es ihnen zum Beispiel an Rohstoffen fehlt. Daraus resultiert dann eventuell das „Bestreben“, sich solche Rohstoffe durch Zuwendungen an Entscheidungsträger bei Zulieferern zu sichern. Natürlich können bei beiden Szenarien auch zunächst harmlos erscheinende Mechanismen korrumpiert werden. Zum Beispiel könnten Spenden und Sponsoring missbraucht werden, eventuell weil sogar erhöhte Budgets für wohltätige Zwecke zur Verfügung stehen. Diese Beträge könnten genutzt werden, um Entscheidungsträger direkt oder indirekt zu beeinflussen. Zuletzt hat bereits Dr. Klaus Moosmayer7 in der Compliance Praxis zu diesem Risiko ausgeführt, dass es in diesen Zeiten einen Kompromiss zwischen Schnelligkeit, Zentralisierung und Due Diligence geben müsste, um das Risiko von Missbrauch zu minimieren.

Andererseits ist der Faktor „Genommene Zuwendungen“ zu betrachten:

Inbound Bribery

Wo gesteigerte Nachfrage zu Produktengpässen bei Endverbrauchern führt, könnten Kunden versuchen, sich ihre Versorgung zu sichern, indem sie versuchen, Mitarbeiter bei Lieferanten zu bestechen, die über die Zuteilung von Waren entscheiden. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Produktionsengpässe durch neue Zulieferer ausgeglichen werden müssen, die nicht nach den üblichen Due-­Diligence-Verfahren qualifiziert wurden; möglicherweise auch durch Abkürzungen über Bestechung. Dabei können auch neue Risiken in der Lieferkette entstehen, beispielsweise durch Bezug aus Ländern mit höherem Korruptionsrisiko oder durch Schmiergelder im Grenzverkehr.

In diesem Kontext kann auch das, von außen „induzierte“, Umgehen von internen Kontrollen und Abläufen, etwa in der internen Qualitätssicherung oder beschleunigten Vertragsgenehmigungen, eine Rolle spielen; was in Corona-Zeiten leichter möglich sein dürfte, weil Abweichungen eventuell weniger sichtbar sind und Entscheidungen unter Zeitdruck getroffen werden.

Darüber hinaus stellen die in jüngster Vergangenheit forcierten Arbeitsweisen wie Homeoffice und Video-Konferenzen ein neues Risikofeld dar. Demzufolge könnte der fehlende persönliche Kontakt mit Kollegen zu einer fehlenden Validierung oder Rückkopplung von Verhalten oder Vorgehensweisen führen. Das gilt beiderseits für die Verhandlungen mit Kunden oder Lieferanten.

Natürlich stellen diese Szenarien ein erhebliches, wenn auch teilweise noch schlummerndes Risiko für betroffene Unternehmen dar. Rechtliche Konsequenzen und Reputationsschäden wären unweigerlich die Folge, wenn es zu Bestechungsvorwürfen kommt und diese öffentlich werden. Damit könnte das langfristige Überleben von Unternehmen durch kurzsichtige Taten gefährdet werden.

Beispiele für „Corona-Korruption“

Slowenien: Undurchsichtiger, millionenschwerer Corornavirus-­Beschaffungs-Deal an einen slowenischen Glücksspielmogul ­vergeben.
Italien: COVID-19-Aufträge an mutmaßliche Betrüger vergeben.
Vereinigtes Königreich: 12 Aufträge im Wert von 233 Millionen USD an Unternehmen vergeben, die prominenten Mitgliedern und Spendern der konservativen Partei gehören.
Deutschland: Wo sind 7.305 Intensivbetten geblieben?
Österreich: „Millionenrätsel“ um den Handel mit Schutzausrüstung und Masken.

Es gilt, Schaden abzuwenden

Unternehmen sollten verstehen, dass es auch in der Privatwirtschaft zu einem erhöhten Risiko von Bestechung und Korruption durch die COVID-19-Pandemie gekommen ist und dieses Risiko vermutlich noch weiter steigen wird. Allerdings gibt es deswegen keinen Grund zur Panik, solange ein angemessenes Antikorruptionsprogramm besteht, das durch ein wirksames Internes Kontrollsystem unterstützt wird. In dieser Konstellation muss umso mehr darauf geachtet werden, dass diese Programme strikt befolgt werden. Dabei wird es sicherlich hilfreich sein, wenn die Geschäftsleitung das Monitoring verstärkt und diese Tatsache entsprechend kommuniziert (Tone-from-the-Top).

In besonders anfälligen Branchen, Situationen oder Transaktionen sollten aber eventuell vermehrt Trainings und Schulungen durchgeführt werden, und gegebenenfalls dafür auch neue Technologien und Ansätze (aufgrund von Homeoffice) genutzt werden. Micro-Learnings über Smartphones oder eine vorgezogene Job-Rotation sind Beispiele.

Auf der anderen Seite sollten aber alle Unternehmen, die Zweifel an der Wirkung oder der Reichweite ihres Antikorruptionsprogrammes und Internen Kontrollsystems haben, unverzüglich daran arbeiten, eventuelle Lücken in Bezug auf Bestechung und Korruption zu schließen.

Der Schlüssel zur Verhinderung von Fraud liegt in erster Linie darin, das Betrugsdreieck auf zumindest einer der drei Seiten zu durchbrechen.8 Von den drei Seiten eignet sich besonders die „Gelegenheit“ zum Ergreifen von Maßnahmen, um zu signalisieren, dass die Gefahr erkannt wurde und Erfolgsaussichten für mögliche Täter damit geringer geworden sind.

Dieser Ansatz ist konsistent mit der erwähnten Erkenntnis, dass „Gelegenheit“ zurzeit die konstanteste Dimension des Betrugsdreieckes ist und damit die am ehesten kontrollierbare sein dürfte.

Gute Compliance-Programme inklusive angemessener und wirksamer Antikorruptionsprogramme sollten immer die gesunde Basis für den geschäftlichen Erfolg sein. Auch oder besonders in Krisenzeiten sollte dies nicht anders sein. 

Fußnoten

  1. Vgl „Making the Case for Open Contracting in Healthcare Procurement“: (zuletzt aufgerufen am 1.2.2021)., http://ti-health.org/wp-content/uploads/2017/01/Making_The_Case_for_Open_Contracting_TI_PHP_Web.pdf   ^
  2. Vgl Gabler Wirtschaftslexikon: (zuletzt aufgerufen am 1.2.2021)., https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/fraud-triangle-53393   ^
  3. Vgl ACFE- Fraud Examiners Manual, 2019.   ^
  4. Vgl (zuletzt aufgerufen am 1.2.2021)., https://www.bbc.com/news/business-54922374   ^
  5. Vgl (zuletzt aufgerufen am 1.2.2021)., https://knowledgehub.transparency.org/helpdesk/regulating-­private-sector-corruption   ^
  6. Vgl trri-covid19-q2-summary.pdf (thomsonreuters.com) (zuletzt aufgerufen am 1.2.2021).   ^
  7. Chief Ethics, Risk- und Compliance Officer der Novartis AG.   ^
  8. Fraud Triangle, Definition Gabler Wirtschaftslexikon.   ^

Autoren

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Sebastian Dencker Msc., CFE

Sebastian Dencker, MSc, CFE, ist seit April 2016 Director Compliance Europe bei Ecolab Inc. Vorher war er in den Bereichen Finance und Internal Audit tätig. Darüber hinaus verfügt er über umfangrei...