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EuGH zur Kronzeugenregelung im Kartellrecht

Auf dem Gebiet des Wettbewerbs existieren die Kronzeugenregelungen der Union und der Mitgliedstaaten eigenständig nebeneinander. Diese Regelungen sind Ausdruck des Systems paralleler Zuständigkeiten von Kommission und nationalen Wettbewerbsbehörden.
Von Redaktion
21. Januar 2016

Sachverhalt

Das Unionsrecht soll durch einen Mechanismus der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden eine kohärente Anwendung der Wettbewerbsregeln in den Mitgliedstaaten gewährleisten. Dieser Mechanismus wird als „Europäisches Wettbewerbsnetz“ (ECN) bezeichnet.

Im Jahr 2006 erließ das ECN auf europäischer Ebene ein Kronzeugenregelungsmodell. Im Jahr 2007 erließ die italienische Wettbewerbs- und Kartellbehörde (AGCM) auf nationaler Ebene ein ähnliches Modell, in dem ein „Kurzantrag“ auf Kronzeugenbehandlung vorgesehen war.

In den Jahren 2007 und 2008 stellten DHL Express (Italy) sowie DHL Global Forwarding (Italy), Agility Logistics und Schenker Italiana bei der Kommission und der AGCM gesondert Anträge auf Kronzeugenbehandlung. Sie meldeten Verstöße auf dem Sektor der internationalen Frachtverkehrsdienste.

Im Jahr 2011 stellte die AGCM fest, dass mehrere Unternehmen, darunter DHL, Schenker und Agility, an einem Kartell auf dem Sektor der internationalen Straßenfrachtverkehrsdienste von und nach Italien beteiligt waren.

Die AGCM bestätigte in dieser Entscheidung, dass Schenker mit ihrem Antrag vom 12. Dezember 2007 das erste Unternehmen gewesen sei, das in Italien bei ihr einen Kronzeugenantrag gestellt habe und verhängte gegen Schenker keine Geldbuße. DHL und Agility wurden hingegen jeweils zur Zahlung einer (herabgesetzten) Geldbuße verurteilt.

DHL erhob bei den italienischen Gerichten Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der AGCM: Es habe bereits am 5. Juni 2007 – also vor Schenker – bei der Kommission Antrag auf Erlass der Geldbuße gestellt.

Der Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) ersucht den Gerichtshof um Auslegung des Unionsrechts hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den verschiedenen Verfahren, die innerhalb des ECN nebeneinander existieren.

 Entscheidung

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die im Rahmen des ECN beschlossenen Instrumente einschließlich des Kronzeugenregelungsmodells für die nationalen Wettbewerbsbehörden nicht verbindlich sind, und zwar unabhängig von der gerichtlichen oder administrativen Natur dieser Behörden.

Ferner besteht zwischen dem bei der Kommission eingereichten Antrag auf Erlass der Geldbuße und dem für dasselbe Kartell bei einer nationalen Wettbewerbsbehörde eingereichten Kurzantrag kein rechtlicher Zusammenhang, sodass diese Behörde weder verpflichtet ist, den Kurzantrag im Licht des Antrags auf Erlass der Geldbuße zu beurteilen, noch gehalten ist, die Kommission zu kontaktieren, um Informationen über den Gegenstand und die Ergebnisse des auf europäischer Ebene eingerichteten Kronzeugenverfahrens zu erhalten.

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass das Unionsrecht einer nationalen Kronzeugenregelung nicht entgegensteht, nach der eine nationale Wettbewerbsbehörde einen Kurzantrag auf Erlass der Geldbuße eines Unternehmens entgegennehmen kann, wenn es parallel dazu bei der Kommission keinen Antrag auf vollständigen Erlass, sondern lediglich auf Ermäßigung der Geldbuße gestellt hat. Folglich kann das nationale Recht vorsehen, dass ein Unternehmen, das nicht als erstes einen Antrag auf Erlass der Geldbuße bei der Kommission stellt und folglich von der Kommission lediglich eine Ermäßigung (und keinen vollständigen Erlass) der Geldbuße erhalten kann, bei den nationalen Wettbewerbsbehörden einen Kurzantrag auf (vollständigen) Erlass der Geldbuße stellen kann. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus der fehlenden Verbindlichkeit der im Rahmen des ECN beschlossenen Instrumente (darunter das Kronzeugenregelungsmodell) für die nationalen Wettbewerbsbehörden.

Weblink

Volltext des Urteils (EuGH vom 20. 1. 2016, Rechtssache C 428/14)

(Quelle: EuGH)

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