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EuGH zu Kartellrecht: „Doppelbestrafung“ möglich?

Nach Ansicht von EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott schließt das geltende Verbot der Doppelbestrafung nicht aus, dass innerhalb der EU mehrere Wettbewerbsbehörden gegen ein und dasselbe Kartell hinsichtlich unterschiedlicher Gebiete oder Zeiträume vorgehen.
Von Redaktion
14. September 2011

Der vorliegende Fall betrifft ein international operierendes Kartell, mit dem sich zahlreiche europäische und japanische Unternehmen vom 15. April 1988 bis ins Jahr 2004 hinein weltweit die Märkte für gasisolierte Schaltanlagen (GIS) aufgeteilt haben. Sowohl die Europäische Kommission als auch die tschechische Wettbewerbsbehörde verhängten in dieser Sache im Jahr 2007 millionenschwere Geldbußen gegen die Kartellbeteiligten.

Die tschechische Wettbewerbsbehörde leitete ihr Verfahren allerdings später ein als die Kommission und erließ auch ihre Entscheidung später. Auch beschränkte sich die tschechische Wettbewerbsbehörde in ihrer Entscheidung darauf, allein die Auswirkungen des Kartells in der Tschechischen Republik in einem Zeitraum vor dem 1. Mai 2004 zu ahnden, dem Tag des Beitritts zur Europäischen Union; dabei brachte diese Behörde ausschließlich nationales Kartellrecht zur Anwendung.

Grundsatz „ne bis in idem“ verletzt?

Toshiba und zahlreiche andere Kartellbeteiligte erhoben vor dem Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno) Klage gegen die Entscheidung der tschechischen Wettbewerbsbehörde. Sie sind u.a. der Auffassung, dass die wettbewerbswidrigen Folgen des streitigen Kartells in der Tschechischen Republik vor deren Beitritt zur Europäischen Union bereits mit der zeitlich früher ergangenen Entscheidung der Kommission geahndet worden seien. Die von der tschechischen Wettbewerbsbehörde gesondert verhängte Geldbuße verstoße daher gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Grundsatz ne bis in idem).

In einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH wollte das nationale Gericht nun insbesondere wissen, ob der Grundsatz ne bis in idem in einem Fall wie dem vorliegenden der Anwendung des innerstaatlichen Wettbewerbsrechts durch die nationale Wettbewerbsbehörde entgegensteht.

Generalanwältin Juliane Kokott wies in Ihren Schlussanträgen zunächst darauf hin, dass der Grundsatz ne bis in idem auf Unionsebene als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt ist und gemäß Art. 50 der Charta der Grundrechte den Rang eines Unionsgrundrechts genießt.

Kokott: Verbot der Doppelbestrafung greift nicht

Allerdings kann nach Ansicht der Generalanwältin im vorliegenden Fall das Verbot der Doppelbestrafung aber nicht greifen, weil die Entscheidung der Kommission und die Entscheidung der tschechischen Wettbewerbsbehörde nicht dieselben Gebiete betreffen. Die Entscheidung der Kommission sei nämlich dahingehend auszulegen, dass mit ihr keine Wettbewerbsverstöße auf dem Gebiet der Tschechischen Republik im Zeitraum vor deren Beitritt zur Europäischen Union, also vor dem 1. Mai 2004, geahndet werden. Zum einen bezieht sich die Kommission speziell auf die Auswirkungen des Kartells innerhalb der EU und nimmt ausdrücklich Bezug auf die damaligen Mitgliedstaaten. Zum anderen waren die Umsätze der Kartellbeteiligten in der EU aus dem Jahr 2003, also vor der Erweiterung am 1. Mai 2004, Grundlage für die Berechnung der Geldbußen. Schließlich war Art. 81 EG (heute Art. 101 AEUV) als Rechtsgrundlage der Entscheidung der Kommission vor dem 1. Mai 2004 nicht auf dem Gebiet der Tschechischen Republik anwendbar.

Insgesamt kommt Generalanwältin Kokott somit zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung der Kommission und die Entscheidung der tschechischen Wettbewerbsbehörde nicht dieselbe materielle Tat betreffen, sodass die tschechische Wettbewerbsbehörde mit ihrer Entscheidung nicht gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Grundsatz ne bis in idem) verstoßen hat.

Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für die Richter nicht bindend, werden von diesen aber erfahrungsgemäß in der Regel geteilt.

Hier zu einer ausführlicheren Darstellung der Schlussanträge.

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