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Kartellrecht: Deutsches Gericht schützt Kronzeugenregelung

Das Amtsgericht Bonn bewertet mit einer aktuellen Entscheidung den Kronzeugenschutz in Kartellverfahren höher als das Recht auf Akteneinsicht potenziell Kartellgeschädigter. Auf EU-Ebene ist die Frage nicht eindeutig geklärt.  
Von Redaktion
31. Januar 2012

Das Amtsgericht Bonn hat am 18. Januar 2011 im Dekorparpierverfahren entschieden, dass die Pfleiderer AG keine Akteneinsicht in den Kronzeugenantrag der Kartellanten erhält. Die Entscheidung ist für das deutsche Bundeskartellamt nach eigenen Angaben bei der Verfolgung von Hardcore-Kartellen von großer Bedeutung. Das Gericht bestätigt damit die Auffassung des Bundeskartellamtes, dass Kronzeugenanträge besonders vertraulich zu behandeln sind.

Einsicht in Kronzeugenunterlagen verweigert

Das Bundeskartellamt hatte im Jahre 2008 Geldbußen in Höhe von insgesamt ca. 62 Millionen Euro gegen Dekorpapierhersteller wegen Preis- und Kapazitätsstilllegungsabsprachen verhängt. Die Pfleiderer AG hatte als Kunde der Kartellanten zur Vorbereitung einer Schadensersatzklage Einsicht in die Verfahrensakten des Bundeskartellamts beantragt. Das Bundeskartellamt ist nach § 406 e der deutschen Strafprozessordnung (StPO) grundsätzlich zur Gewährung von Akteneinsicht gegenüber den Verletzten verpflichtet, wollte aber zum Schutz seiner sogenannten Bonusregelung keine Einsicht in die Kronzeugenunterlagen gewähren. Das mit der Streitfrage befasste Amtsgericht Bonn hat nun die Entscheidung des Bundeskartellamtes bestätigt. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

EuGH äußerte sich nicht eindeutig

Das Amtsgericht Bonn hatte die Sache vor seiner Entscheidung zunächst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt mit der Frage, ob Europarecht die Offenlegung von Bonusanträgen gegenüber den Geschädigten verbietet. Der EuGH hatte diese Frage verneint, aber entschieden, dass bei der gebotenen Abwägung neben den Interessen der Geschädigten auch das Interesse an einer effektiven Kartellrechtsverfolgung, für die eine Kronzeugenregelung anerkanntermaßen von Bedeutung ist, ins Gewicht fallen muss (EuGH, Urteil vom 14. Juni 2011, Rs. C-360/09).

Verfolgung von Wettbewerbsverstößen wichtiger als Schadenersatzansprüche

Das Amtsgericht Bonn entschied vor diesem Hintergrund nun, dass die Gefährdung der Aufdeckung und Verfolgung von Wettbewerbsverstößen im konkreten Fall die Verweigerung der Akteneinsicht in die Bonusunterlagen rechtfertige, weil die Attraktivität der Bonusregelung wesentlich darunter leiden würde, wenn potenzielle Bonusantragsteller mit einer Offenlegung ihrer freiwillig übergebenen Unterlagen gegenüber potenziell Geschädigten rechnen müssten. Einschlägig sei hier die „Gefährdung des Untersuchungszwecks“ im Sinne des § 406 e StPO.
Das Bundeskartellamt befürwortet in einer Aussendung diese Argumentation: Da dieser zutreffende Gesichtspunkt auch in anderen Fällen gegen eine Akteneinsicht in Bonusunterlagen spreche, gehe die Bedeutung der Amtsgerichtsentscheidung weit über den Einzelfall hinaus. Das Bundeswirtschaftsministerium beabsichtigt laut Bundeskartellamt im Rahmen der derzeit laufenden Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) diese Rechtsauffassung festzuschreiben.

Präsident Mundt: „Opfer auf Kartellbehörden angewiesen“

Der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, kommentierte die Entscheidung so: „Private Schadensersatzklagen wegen Kartellverstößen sind eine wichtige Ergänzung der behördlichen Kartellverfolgung. Dabei sind die Opfer von Kartellen auf die Aufdeckung durch die Kartellbehörden angewiesen. Wenn die Bonusregelung nicht funktioniert, werden deutlich weniger Kartelle aufgedeckt. Das behindert nicht nur die Bestrafung der Täter, sondern auch die Entschädigung der Opfer. Wir unterstützen daher nachdrücklich die Pläne des Bundeswirtschaftsministers, die Privilegierung von Bonusunterlagen gesetzlich festzuschreiben und so die Gewährleistung der Vertraulichkeit abzusichern.“

Weiterlesen

Eine juristische Einschätzung der Sache Pfleiderer geben Dr. Stephan Polster sowie Mag. Christian Mayer (beide DORDA BRUGGER JORDIS) in einem Fachbeitrag für compliance-praxis.at vom 26. September 2011 (frei für Basis-Mitglieder):
Kronzeugen in Kartellverfahren: Erleichterter Aktenzugang für private Schadenersatzkläger?

(red)

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