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Erlebnisse eines Compliance-Verantwortlichen: Das Kaffeehaus

Die Mitglieder des Compliance Committee begrüßen erstmals den neuen Vorstand in ihrer Runde. Auch der Compliance-Verantwortliche ist gespannt: Wo will der Neue seine Prioritäten setzen?

01. Dezember 2015

Erwartungsvoll sitzen alle um den großen Tisch. Wirklich alle sind da. Es ist ja schließlich die erste Sitzung des Compliance Committee in der neuen Zusammensetzung. Kommt eben nicht alle Tage vor, dass ein neuer Vorstand seinen Dienst antritt.

Man will halt wissen, was er zu sagen hat, wo er seine Schwerpunkte sieht und wohin die Reise geht.

Jeder hat sich vorbereitet. Jeder hat eine kurze Präsentation erstellt. Der General Counsel, der Group Compliance Officer, der Group Auditor, die Vertreter von Sales, der Risk Manager und noch ein paar andere, die am Tisch sitzen.

Gespanntes Warten.

Und dann betritt er den Raum. Flankiert von seinen Kollegen, dem Ersten und dem Zweiten.

Alle stehen auf.

Er nicht. Er steht ja schon.

Alle suchen Blickkontakt.

Er nicht. Er schaut in die Ferne. Durch alle hindurch.

Während alle stehen, setzt er sich. Der Rest folgt.

Schweigen.

„Kolleginnen und Kollegen, herzlich begrüßen wir unser neues Vorstandsmitglied in dieser Runde“, sagt der Erste.

„Dem schließe ich mich an“, sekundiert der Zweite.

Alle Augen sind auf den Neuen gerichtet.

Schweigen.

Fortdauerndes Schweigen.

Verwunderte Blicke. Ja, mag der Neue denn nichts sagen?

Schweigen.

„Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Kollegen auch in diesem so wichtigen Thema Compliance“, sagt der Erste und beendet das Schweigen.

„Ja, wir freuen uns“, fasst der Zweite zusammen.

Schweigen.

Der Neue nickt. Und schweigt.

„Ähm, ich schlage vor, dass Ihr mit Euren Präsentationen beginnt, und unseren neuen Kollegen in das Thema, so wie wir es hier bei uns leben, einführt“, sagt der Erste.

„Ja, starten wir“, sagt der Zweite.

Schweigen und nicken des Neuen.

Die Präsentationen beginnen.

Kurz und auf das Wesentliche fokussiert.

Zahlen, Daten, Fakten.

Prozesse, Strukturen, Abläufe.

Personen, Bereiche, Zuständigkeiten.

Vergangenes, Gegenwärtiges, Zukünftiges.

Alles, was in einem Compliance Committee eben berichtet wird.

Der Chief Compliance Officer berichtet.

„Danke für den Bericht. Sehr gut. Bitte der Nächste“, sagt der Erste.

„Ja, genau“, fügt der Zweite hinzu.

Schweigen und Nicken des Neuen.

Der General Counsel berichtet.

„Danke für den Bericht. Sehr gut. Bitte der Nächste“, sagt der Erste.

„Ja, genau“, fügt der Zweite hinzu.

Schweigen und nicken des Neuen.

Viel reden tut der Neue nicht. Muss er ja auch nicht. Er ist wohl eher der Typ „stiller Denker“. Lässt alles auf sich wirken, analysiert und entscheidet dann auf Basis fundierter Grundlagen.

Der Risk Manager berichtet.

„Danke für den Bericht. Sehr gut. Bitte der Nächste“, sagt der Erste.

„Ja, genau“, fügt der Zweite hinzu.

Schweigen und nicken des Neuen.

Er steht plötzlich und unvermittelt auf.

Er räuspert sich.

Erwartungsvoll wenden sich ihm alle Augenpaare zu. Jetzt kommt das lang erwartete Statement. Ja, so muss man das machen. Erst mal die anderen reden lassen, sich eine Meinung bilden und dann etwas sagen. Lehrbuchhaft.

Er räuspert sich nochmals.

„Liebe Kollegen! Das ist alles wahnsinnig interessant, was Sie mir da alles erzählen. Leider hab ich jetzt aber überhaupt keine Zeit dafür.“

Er schiebt seinen Sessel zur Seite und spricht – während er Richtung Türe geht – die Anwesenden mit einem freudig-erregten Unterton in seiner Stimme an: „Ihr müsst verstehen, dass ich für Euer Thema jetzt wirklich keine Zeit habe.“

Kurze Pause.

„Ich fahre jetzt zum Bürgermeister. Ich bekomme heute nämlich von ihm den Preis zur Förderung der Kaffeehauskultur in unserer schönen Stadt verliehen.“

Kurze Pause.

„Ihr versteht, dass das vorgeht, oder?“

Öffnet die Türe und ruft von draußen vor der Türe herein: „Wir holen das alles nach. Ist ja wichtig! Dieses Compliance-Dings.“

Schließt die Türe und ist weg.

Staunen in der Runde.

Ein Mann mit Prioritäten.

Hinweis

Die Blog-Serie "Erlebnisse eines Compliance-Verantwortlichen" handelt von den Erfahrungen eines Compliance Officers aus einem österreichischen Unternehmen Tag für Tag, in den "Mühen der Ebene". Aus naheliegenden Gründen bleibt der Verfasser ungenannt. Die Berichte sind authentisch.

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