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Diskussion zum Kartellrecht: Halbiertes Bußgeld bei guter Führung?

Unangekündigte Razzien, Millionenbußgelder, juristische Kontroversen: Verstöße gegen das Kartellrecht wirbeln Staub auf. Helfen Compliance-Programme dabei, den Lärm einzudämmen? Auf welche Schwierigkeiten stoßen Verantwortliche bei der Umsetzung des Kartellrechts? Und was bringt die für heuer geplante Kartellgesetz-Novelle? Ein Expertenpodium diskutierte dies und mehr am Mittwoch im Haus der Industrie.
Von Mag. Klaus Putzer
01. März 2012

Am 29. Februar endete das Begutachtungsverfahren über den Ministerialentwurf für die geplante Kartell- und Wettbewerbsgesetz-Novelle. Am Abend desselben Tages diskutierte ein illustres Experten-Podium (s Kasten) zum Thema „Compliance im Kartellrecht – Was bringt die Zukunft?“ im Haus der Industrie in Wien.

Kartellrechts-Compliance: Awareness gewachsen, BWB plant Roadshow

Hoffer, © Foto: Anna Rauchenberger
Hoffer
Die Bedeutung präventiver Compliance-Maßnahmen im Kartellrecht ist in den letzten Jahren gestiegen. Darüber war sich das Podium einig. Das hat historische Gründe, wie Raoul Hoffer ausführte. Bis zum EU-Beitritt 1995 lag Österreich im „Dornröschenschlaf“. 2002 wurde die Bundeswettbewerbsbehörde eingerichtet, 2006 kam das neue, an EU-Richtlinien angepasste Kartellgesetz, das heuer novelliert werden wird. Dadurch sei ein Wandel von einem reaktiven Umgang mit Kartellrechtsverstößen zu einem aktiven angestoßen worden, so Hoffer (rechts im Bild): Unternehmen kümmern sich nun vermehrt aktiv darum, dass es sie „nicht erwischt“.

In der täglichen Praxis ist der Präventionsgedanke freilich nicht immer leicht umzusetzen, sagen die Praktiker. Vor allem dann nicht, wenn kein „Supergau“ eintritt. In der Strabag gab es einen solchen noch nicht, weswegen der Compliance-Verantwortliche Peter Fischer gerne auf Beispiele anderswo zurückgreift: „Wenn ein Manager in Untersuchungshaft sitzt, hilft das bei der Überzeugungsarbeit.“

Grunicke, © Foto: Anna Rauchenberger
Grunicke
Wobei die wichtigste „Zielgruppe“ der Schulungen für Alexander Grunicke (links im Bild) nicht die Unternehmensspitze, sondern das mittlere Management darstellt.
Auch die Bundeswettbewerbsbehörde stellt eine gestiegene Awareness für und vermehrte Diskussionen über Compliance im Kartellrecht fest – und will diese selbst fördern. Generaldirektor Thanner kündigte eine „Roadshow“ der BWB durch die Bundesländer noch vor dem Sommer an. Das präventive Element soll dabei betont werden, da in diesem Bereich viel gemacht werden könne.

„Compliance im Kartellrecht – Was bringt die Zukunft?“

Die Podiumsdiskussion im Rahmen des 5. Compliance Praxis Netzwerktreffens fand auf Einladung des Compliance Netzwerk Österreich (LexisNexis) und der Industriellenvereinigung am 29. Februar im Haus der Industrie in Wien statt.

Es diskutierten der Kartellrechtsspezialist RA Raoul Hoffer (Binder Grösswang), die beiden Unternehmensvertreter Peter Fischer (Strabag) und Alexander Grunicke (Kühne + Nagel) sowie der Generaldirektor der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), Theodor Thanner. Die Diskussionsleitung übernahm RA Alexander Petsche (Baker & McKenzie), der Schriftleiter und Mitherausgeber des Fachmagazins Compliance Praxis ist.

Umsetzung: Die Mühen der Ebene

Wie sieht Kartellrechts-Compliance in der täglichen Umsetzung aus? Zum radikalen Zusammenstreichen von Verbandsmitgliedschaften rät Alexander Grunicke. Nur speziell geschulte Mitarbeiter sollten auf Branchentreffs geschickt werden, um die Gefahr unerlaubter Absprachen auf ein Minimum zu reduzieren.

Fischer.jpg, © Foto: Anna Rauchenberger
Fischer.jpg
Eine weitere große Herausforderung ist die Dokumentation von Schulungen. Peter Fischer (links im Bild) ist der Überzeugung, dass – gerade in großen Organisationen – die Nachweisbarkeit von Aufklärungsmaßnahmen ohne EDV-Unterstützung nicht mehr zu machen ist. Allein die Strabag etwa habe 30.000 Mitarbeiter online geschult und – im Management – mehrere Tausend Präsenzschulungen abgehalten.

Nach wie vor hinkt aber Europa den USA weit hinterher, meint Raoul Hoffer. Compliance ist „US-driven“ und in Übersee, anders als hierzulande, ein selbstverständlicher Teil der Unternehmenskultur. Sein Ratschlag an Firmen, die ein Compliance-Programm einrichten wollen, lautet daher: „Entweder ihr macht es ganz oder der Schutz ist nicht gewährleistet.“

Verzwickte „Compliance Defense“: Am besten gar nichts tun?

Petsche 3, © Foto: Anna Rauchenberger
Petsche 3
Eine Bruchlinie zwischen Behörde und Privatwirtschaft bzw. Beratern tut sich beim Thema „Compliance Defense“ auf. Die relevante Fragestellung fasste Moderator Alexander Petsche (links im Bild) kurz so zusammen: Wirkt eine Kartellrechts-Compliance-Programm – analog etwa zum Verbandsverantwortlichkeitsgesetz oder zum UK Bribery Act – strafmildernd, weil es den guten Willen des Unternehmens beweist?

Wäre es also denkbar, dass ein Bußgeld bei vorhandenem Compliance-System durch zwei dividiert wird? Oder aber wirkt es sogar strafverschärfend, weil man der Organisation bei vorhandenen Compliance-Strukturen vorwerfen kann, trotz genauester Kenntnis aller Bestimmungen und trotz Unterweisung der Mitarbeiter falsch gehandelt zu haben? Hat dann ein etwaiger Rechtsbruch durch Mitarbeiter also „bewusster“ stattgefunden?

Tanner, Theodor, © Foto: Anna Rauchenberger
Tanner, Theodor
Theodor Thanner (rechts im Bild) erinnerte dazu an den juristischen Grundsatz: „Wissen und Wollen kann nicht strafmildernd sein.“ Ob eine Compliance Defense in der aktuellen Novelle implementiert werde, entscheide der Gesetzgeber. Auch mit einer von Hoffer zitierten OGH-Entscheidung zeigte sich Thanner nicht einverstanden (s News vom 25. Jänner). Der Oberste Gerichtshof hatte als Kartellobergericht eine Firma von Strafzahlungen befreit, da sie sich vorher von einem erfahrenen Kartellanwalt hatte (falsch) beraten lassen. Thanner dazu: Ein Autofahrer dürfe auch nicht ungestraft zu schnell fahren, nur weil er sich vorher „beraten“ lässt. Die BWB werde ihre Position dazu noch klarlegen. Problematisch seien mit dieser Sichtweise zusammenhängende Haftungsfragen für Berater.

Peter Fischer widersprach: Einer Organisation mit tausenden Mitarbeitern darf das Fehlverhalten Einzelner nicht vorgeworfen werden. Wenn sogar der Deutsche Bundestag keinen Präsidenten mit einer absolut weißen Weste finden konnte, wie könne man das von Unternehmen verlangen? Sollte Compliance bestraft werden, wäre das „das Ende aller ernsthaften Compliance-Programme“, warnte Fischer.

Alexander Grunicke unterstrich das psychologische Moment einer Compliance Defense. Nur das Incentive der Strafminderung motiviere auch zur Einführung von Präventionsmaßnahmen. Zudem habe sich die Gesetzeslage geändert: Unternehmen müssen jetzt selbstständig auf etwaige Verstöße prüfen – ohne auf Unterstützung durch die Behörde bauen zu können.

Wünsche an das Kartellrecht: Alle Klarheiten beseitigt?

Wie entwickelt sich das Kartellrecht weiter bzw. wie soll es sich entwickeln? Vom novellierten Kartellgesetz sei nicht „der große Wurf“ zu erwarten, sagte Hoffer. Ein Konsens über den kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus sei nicht zu erzielen gewesen.

Einige Kopfschmerzen verursachen nach wie vor sogenannte Bagatellkartelle, die bis 2005 straffrei geblieben waren. Für Bauunternehmen sind Baugemeinschaften mit Konkurrenten – auch für die großen Player – laut Peter Fischer oft eine Notwendigkeit, um Ressourcen planen zu können. Anders als in anderen Bereichen kommen die Aufträge der öffentlichen Hand geballt im Frühjahr. Manchmal wünschten sich auch private Bauherren die Umsetzung von Aufträgen durch ganz bestimmte Auftragnehmer.

Alexander Grunicke kritisierte die Anmeldeverpflichtung ausländischer Fusionen in Österreich, selbst wenn die betroffenen Divisionen nur kleinste Margen erzielen.

Pro & Contra Kronzeugenregelung

Auch die Kronzeugenregelung sieht Grunicke nicht nur positiv. Zwar sei dieses Instrument wichtig. Es sei aber auch zu überschießenden Kronzeugenanfragen gekommen. Die Wettbewerbsbehörde begegne den Anfragen aufgrund der schieren Menge nicht kritisch genug. Behördenmitarbeitern fehle es an der Zeit, sich in die verschiedenen Materien und Märkte einzuarbeiten.

Für Hoffer sind Kronzeugenprogramme auf das österreichische Recht aufgesetzt worden, oft ohne die Anpassungen „links und rechts“ vorzunehmen. Beispielsweise können Kronzeugenunteralgen zivilen Klägern als Grundlage für Schadenersatzprozesse dienen, wenn sie denn in deren Hände gelangen. Hoffer plädiert für eine Harmonisierung der Regelungen auf EU-Ebene, damit nicht parallel in verschiedenen Ländern verschiedene Kronzeugenregelungen in Anspruch genommen werden müssen.

Für die BWB stellen Kronzeugenverfahren nicht mehr den Hauptfokus der Arbeit dar, auch wenn die Behörde Kronzeugen „auf Händen trage“. Aber, so Generaldirektor Thanner abschließend: „Uns geht das Material nicht aus, selbst wenn es keine Kronzeugen mehr geben sollte.“

Autoren

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Mag. Klaus Putzer

Mag. Klaus Putzer war von 2010 bis 2023 Redakteur bzw. Chefredakteur der Compliance Praxis. Zuvor war er in mehreren Verlagen als leitender Redakteur im Magazinbereich tätig bzw. arbeitete als frei...