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4. Compliance Netzwerktreffen: Wirtschaft trifft Philosophie

Beim 4. Compliance Praxis Netzwerkevent fanden am 1. Dezember rund 100 Mitglieder der Compliance-Community am Wienerberg zusammen. Keynote Speaker Dr. Leo Hemetsberger reflektierte über die philosophischen Grundlagen von Ethik und Compliance.
Von Redaktion
02. Dezember 2011

Das 4. Netzwerkevent fand im Anschluss an das 1. Compliance Praxis Jahresforum 2012 von Business Circle statt, das sich als eine nachhaltige Informations- und Diskussionsplattform für Geschäftsführer und Compliance-Verantwortliche versteht. Etwa 100 Compliance-Interessierte waren der Einladung von LexisNexis und Business Circle ins Holiday Inn am Wienerberg gefolgt.

4. Compliance Netzwerktreffen, © Foto: Anna Rauchenberger
4. Compliance Netzwerktreffen

Der Philosoph Dr. Leo Hemetsberger klopfte in seiner Keynote Speech „Die Mitte ist das Wahre“ das Themenfeld Ethik, Moral und Compliance auf seine philosophischen Grundlagen ab – in einer Art Gedanken-Rap, der eher zum Hinterfragen anregte, als unmittelbar verwertbare Antworten zu liefern.

Ethik-Historie im Schnelldurchlauf

Allgemein anerkannt ist, dass Compliance ohne ein im Unternehmen installiertes Wertegerüst, ein gemeinsames Verständnis darüber, was „geht“, nicht funktioniert. Unter dem Stichwort „Tone from the Top“ vermittelt der Vorstand diese Unternehmenswerte idealerweise so, dass sie von den Mitarbeitern ohne großen Zwang gelebt werden. So weit, so gut. Klar scheint vordergründig auch, was dieses ethische Wertegerüst bezweckt: korrekt, moralisch einwandfrei, „ethisch“ soll gehandelt werden.

Bei näherer Betrachtung gesellen sich zum floskelhaft verwendeten Begriff „Ethik“ allerdings schnell einige Fragezeichen, wie Hemetsberger eindrucksvoll illustrierte.

Ethos versus Ethik

Wichtig ist dem Philosophen die Differenzierung zwischen „Ethik“ von „Ethos“. Als Beispiel dafür, wie Ethos zu verstehen ist, nennt er zwei Katastrophen der letzten Jahre – Hurrican Kathrina und das Erdbeben bzw. die Atomkatastrophe in Japan. Die betroffenen Gesellschaften gingen mit diesen Ausnahmesituationen völlig gegensätzlich um. In den vom Hurrican überfluteten Teilen von New Orleans kam es zu Chaos, Plünderungen, Vergewaltigungen, Morden. In Japan überwog solidarisches Handeln. Sogar die japanische Mafia, die Yakuza, soll sich an Hilfseinsätzen beteiligt haben.

Keynote Speaker Dr. Leo Hemetsberger, © Foto: Anna Rauchenberger
Keynote Speaker Dr. Leo Hemetsberger

Was sich in den unterschiedlichen Reaktionsweisen ausdrückt, ist das „Ethos“ einer Gesellschaft, das historisch gewachsene Verständnis über sozial akzeptiertes, „richtiges“ Handeln, das sich in der Notsituation nur noch deutlicher manifestiert, als unter Normalverhältnissen. Sind diese Prämissen in der japanischen Gesellschaft andere als in der US-amerikanischen? Die Frage bleibt offen. Hemetsberger vermutet aber, dass die Dominanz antikollektivistischer, individualistischer Haltungen in westlichen Industriegesellschaften die Verbindlichkeit eines gesellschaftlichen Ethos erschwert. 

Das Ethos unterliegt jedenfalls historischen Veränderungen, ist beeinflusst von geschichtlichen Ereignissen, von Religion und Philosophie, kann sich verändern und wird immer wieder neu ausgehandelt: Witwenverbrennungen etwa betrachten wir als barbarische Akte, in anderen Kulturen waren sie akzeptierte gesellschaftliche Praxis.

Was kann Ethik?

„Ethik“ dagegen meint das wissenschaftlich-philosophische Nachdenken über Ethos. Es ist der Versuch, durch Abwägungen und Überlegungen festzusetzen, was richtig und was falsch ist. Die Ethik kann Begriffe klären, Argumente prüfen, kritische Fragen stellen, unerkannte Wertungen ans Licht bringen oder das Erkennen ethischer Probleme unterstützen.

Eine bestimmte „Ethik“ kann aber, auch das zeigt der Philosoph, trotz hehrer Ziele zu moralisch verheerenden Resultaten führen. Hemetsberger nennt das Beispiel des Utilitarismus bei Peter Singer (Träger des Ethikpreises 2011 der deutschen Giordano-Bruno-Stiftung), der das durchaus plausibel klingende Postulat „Handle so, dass das größtmögliche Maß an Glück entsteht!“ ausgegeben hat. Mit Blick auf dieses Ziel rechtfertigt Singer die Tötung schwerstbehinderter Neugeborener – also Euthanasie –, da deren Überleben das Glück vieler anderer Kinder verhindern würde.

Vor diesem Hintergrund kann Ethik weder Verantwortung abnehmen noch Handlungsanleitungen geben, so Hemetsberger.

Die Vortragsunterlagen zum Download

Von der Ethik zur Compliance

Experimente zeigen überdies, dass der Mensch keineswegs „gut geboren“ ist, wie Rousseau meinte. Fehlt die soziale Kontrolle, handeln schon Kinder gegen festgelegte Regeln. Menschen betrügen also. Und je indirekter die Handlung, desto wahrscheinlicher sind Normbrüche.

Trotzdem lassen sich andererseits moralische Grundhaltungen benennen, die über alle Kulturen hinweg hohe Wertschätzung genießen, wie etwa Besonnenheit, Gerechtigkeit, Fairness, Aufrichtigkeit, Hilfsbereitschaft, Courage.

Es bleibt bei – zur weiteren Reflexion anregenden – Diskussionsgrundlagen. Deswegen liegt für den Vortragenden „Das Wahre in der Mitte“: In der Mitte zwischen Ethik und Ethos, universellen moralischen Prinzipien und dem Menschen als unmoralisches Wesen, zwischen sozialem Druck und Vernunft.

Der Schweizer Ökonom Peter Ulrich hat die folgenden konkreten Ethikmaßnahmen fürs Unternehmen formuliert:

  1. Geklärte unternehmerische Wertschöpfungsaufgabe –> Mission Statement

  2. Verbindliche Geschäftsgrundsätze –> Code of Conduct

  3. Definierte moralische Rechte aller Betroffenen –> Bill of Stakeholder Rights

  4. Diskursive unternehmensethische Infrastruktur –> Dialogforen

  5. Eigenständig ethische Kompetenzbildung –> Integritätskultur

  6. Überprüfung bestehender Führungssysteme & Konsistenz ethisch erwünschter Handlungsorientierung –> Compliance

Hemetsberger wiederum gibt den Zuhörern drei Empfehlungen zum Unternehmensethos mit:

  • Mitarbeiter in ihrer Autonomie einladen, sich mit Fragestellungen der Ethik auseinanderzusetzen,

  • zeigen, welche Entwicklungsmöglichkeiten sich ergeben,

  • herausarbeiten, dass das Ganze Sinn macht.

Information

Dr. Leo Hemetsberger betreibt eine philosophische Praxis in Baden und Wien. Schwerpunkte: Teamentwicklung, Kommunikation & Konfliktregelung, Ethik in der Compliance, Führungskräftecoaching in Unternehmens- und Verwaltungsorganisationen. Er ist u.a. Lehrbeauftragter an der Theresianischen Militärakademie, Train the Trainer beim BAK/BMI, leitet den Postgradualen Uni-Lehrgang für Kultur und Organisation, spricht und schreibt zu zeitgenössischer bildender Kunst.  

www.philprax.at

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