6. Netzwerktreffen: Compliance mit Augenmaß
01. Juni 2012
Beim mittlerweile regelmäßigen Compliance-Treffpunkt drehte sich alles um die Erfahrungen der Allianz mit Compliance. Da Frau Dr. Gundi Wentner, Partnerin bei Deloitte, ihre Keynote krankheitsbedingt nicht halten konnte, sprang Dr. Thomas Lösler, Chief Compliance Officer Allianz SE, spontan in die Bresche. Er referierte über seine Auffassung von effizientem Compliance Management, wie es bei der Allianz praktiziert wird (Vortragsfolien s. unten).
„Das braucht kein Mensch“

Nach der Begrüßung durch LexisNexis-Geschäftsführer Mag. Peter Davies ging das Wort zunächst an Allianz Österreich-CEO Dr. Wolfram Littich. Dieser gab Einblicke in seine persönlichen Erlebnisse mit Compliance im Laufe seiner Karriere im Banken- und Finanzsektor. Während der Anfangsjahre im ganz gewöhnlichen Bankgeschäft, gab er zu, hätte er zum Thema Compliance gesagt: „Das braucht kein Mensch.“
Das Bild wandelte sich, als er im Investmentbanking tätig wurde. Eines Tages beklagte sich der CEO bei Littich, dass der Ferrari eines Händlers seinen Stellplatz zugeparkt habe. Wie ist es möglich, dass ein Händler so viel verdient, begann man zu fragen. Weshalb haben die Trader (damals noch sehr teure) Mobiltelefone an ihren Arbeitsplätzen liegen? Die Antwort lautete, dass einige der Händler ein astreines Betrugssystem aufgebaut hatten. Handys konnten noch nicht so einfach abgehört werden wie Festnetzapparate.

Weitere compliance-relevante Erfahrungen sammelte Littich an der Wiener Börse. Als eine russische Glücksspielfirma um eine Börsenzulassung ansuchte, vermutete er, damals im Vorstand der Börse, Geldwäscheambitionen in großem Stil. „Wir haben die Zulassung verhindert, obwohl es rechtlich dazu eigentlich keine Möglichkeit gegeben hätte." Generell werde das Thema Geldwäscherei häufig unterschätzt: „Es geht oft um hunderte Millionen oder ein paar Milliarden.“
Compliance mit Maß und Ziel
Anhand zweier Beispiele aus der Versicherungsbranche verwies Littich aber auch auf die Grenzen von Compliance, denn die gebe es: „Das wichtigste ist Hausverstand.“
Erstes Beispiel ist die bekannte Causa der „Ergo-Lustreise“: Die Hamburg Mannheimer-Versicherung (heute Ergo) hatte Top-Verkäufer mit einem Nobelbordellbesuch in Budapest belohnt. Der – rechtlich nicht relevante – Fall schlug hohe Wellen und beschädigte das Ansehen nicht nur von Ergo, sondern der ganzen Branche nachhaltig. Natürlich sei die Idee von „Lustreisen“ auf Firmenkosten nicht „compliant“ und damit klar abzulehnen, stellte Littich klar.
Anders beurteilt er einen Fall bei der Wüstenrot-Versicherung. Wüstenrot feuerte eine ganze Riege Vertriebler, die im Ausland ebenfalls ein Bordell aufgesucht hatten – allerdings nach Dienstschluss. Auch die Vorgesetzten mussten gehen. Ab sofort mahnt Wüstenrot auch im Privatleben „moralisch sauberes Verhalten“ ein.
Das geht dem CEO der Allianz Österreich eindeutig zu weit: Dem Compliance Officer steht es nicht zu, moralische Urteile über das Verhalten der Mitarbeiter in ihrer Freizeit zu fällen. Daher müssten Compliance-Abteilungen „mit Maß und Ziel“ agieren, andernfalls setzten sie auch ihr eigenes Ansehen innerhalb der Firma aufs Spiel.
„Cutting Corners“

Das Vorbild müsse jedenfalls der Vorstand geben. Dabei geht es nicht so sehr um gesetzeskonformes Verhalten der Unternehmensspitze – das sollte selbstverständlich sein! –, sondern darum, den selbst aufgestellten Code of Conduct auch wirklich einzuhalten.
Beispiel BP: Nicht lange nach dem katastrophalen Untergang der BP-Ölplattform Deepwater Horizon 2010 im Golf von Mexiko veröffentlichte CNN ein Video mit Zeugenberichten vom Unglückstag. Die Ölarbeiter hatten mitgehört, wie sich ihre Vorgesetzten - mit der Begründung mangelnder Zeitressourcen - über sämtliche selbst aufgestellten Notfallpläne hinwegsetzten.
Hier hatte ein zweifelhafter „Tone at the Top“ fatale Konsequenzen. In einem Klima des (Kosten-bzw. Erfolgs-)Drucks, den letztlich der Vorstand erzeugt, steigt die Gefahr, dass Verantwortliche gefährliche „Abkürzungen“ nehmen. „Cutting corners“ nennt das Lösler. Verhaltensstandards werden – scheinbar zum Wohl der Firma – einfach über Bord geworfen. Obwohl die Verantwortlichen bei BP nicht gegen Gesetze verstoßen haben, schädigte ihr Fehlverhalten die Firma massiv.
Keep it simple
Deshalb sei es so wichtig, Verhaltenskodizes simpel, verständlich und damit lebbar zu halten, unterstrich Lösler; bei der Allianz etwa mit Hilfe einfacher, alltagsbezogener Fragen, dem sogenannten „Integrity Check“. Fragen aus dem Integrity Check lauten beispielsweise: „Wären meine Eltern oder meine Kinder stolz auf mich?“; „Was wäre, wenn dieses Verhalten an die Öffentlichkeit gelangt?“; „Kann mein Verhalten falsch interpretiert werden?“.
Compliance Officer seien in erster Linie „Kollegen“ und dürften daher nicht übers Ziel hinausschießen. Dazu gehöre auch ein Selbstverständnis, das sich strikt an den Interessen des Arbeitgebers orientiert. Er sei jedenfalls nicht „der verlängerte Arm der Aufsichtsbehörden“, sagte Dr. Lösler abschließend.
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Mag. Klaus Putzer
Mag. Klaus Putzer ist herausgebender Chefredakteur von „Compliance Praxis“ – Magazin und Portal. Zuvor war er in mehreren Verlagen als leitender Redakteur im Magazinbereich beschäftigt bzw. als fre...