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"Amerikanisierung": Deutsche Rechtsanwälte gegen Unternehmensstrafe

Der Dachverband der deutschen Rechtsanwaltskammern hält die Regelungen zur Verfolgung von Wirtschaftskriminalität für ausreichend. Bestrebungen der Justiz, neue strafrechtliche Sanktionen für juristische Personen einzuführen, lehnen die Rechtsanwälte ab.
Von Redaktion
05. Juni 2013

In zahlreichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union besteht mittlerweile die Möglichkeit einer strafrechtlichen Sanktionierung von Verbänden bzw. Unternehmen, so etwa auch in Österreich mit dem „Verbandsverantwortlichkeitsgesetz“. Die Justizminister der deutschen Bundesländer diskutieren seit 2011, ob ähnliche Bestimmungen in Deutschland eingeführt werden sollen. In Nordrhein-Westfalen wird bereits eine Gesetzesinitiative zur Einführung eines spezifischen Unternehmensstrafrechts vorbereitet, die in den nächsten Wochen vorliegen soll.

Kein Bedarf

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) als Dachverband der regionalen Rechtsanwaltskammern spricht sich nun in einer Stellungnahme gegen entsprechende Überlegungen aus. Die Kammer sieht weder einen kriminalpolitischen noch rechtlichen Bedarf dafür: "Weder ist ein signifikanter Anstieg sog. Unternehmenskriminalität zu verzeichnen, d.h. von Straftaten, die aus Unternehmen heraus begangen werden und denen mit neuartigen Sanktionen präventiv begegnet werden müsste, noch sind Ungleichbehandlungen von Unternehmen in der Strafverfolgungspraxis ersichtlich, die aus dem Fehlen geeigneter Sanktionen resultieren würden."

„Amerikanisierung“ von Strafverfahren befürchtet

Vielmehr sei eine Besorgnis erregende "Erosion des Legalitätsprinzips" zu beobachten, die sich in der Praxis aus der Fokussierung der Strafverfolgungsbehörden auf materielle Vorteile (wie Unternehmensgeldbußen) ergeben kann. "Das heißt: die Höhe solcher Sanktionen wird sowohl für die Art und Weise der Strafverfolgung als auch für den Inhalt 'einvernehmlicher' Verfahrensbeendigungen immer bedeutsamer. Die an sich begrüßenswerten Möglichkeiten der Verständigung im Strafverfahren gewinnen dadurch zunehmend den Charakter ökonomisch motivierter und dominierter Aushandlungsprozesse, nicht zuletzt auch zulasten der Rechte Einzelner."

Die Bundesrechtsanwaltskammer befürchtet, "dass die angestrebte Pönalisierung von Unternehmen den Prozess der 'Ökonomisierung' und 'Privatisierung' von Strafverfahren – oder, wie man auch sagen könnte: 'Amerikanisierung' – verstärken und das Institut der Strafe im Ergebnis schwächen würde."

Regelungen gegen Wirtschaftskriminalität reichen aus

Ein Defizit gegenüber anderen Rechtsordnungen besteht nach Meinung der Kammer demnach nicht. Die vorhandenen rechtlichen Regelungen zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität seien ausreichend. Anstelle einer Ausweitung des Strafrechts empfiehlt die BRAK die Beseitigung rechtsstaatlicher Defizite aus, insbesondere durch

  • "eine Reform der Regelungen des Verfalls, die derzeit wegen des sogenannten Bruttoprinzips bei Unternehmen zu ökonomisch unsinnigen, volkswirtschaftlich schädlichen und ungerechten Ergebnissen führen können,

  • eine Stärkung der „schützenden Formen“ rechtsstaatlicher Strafverfolgung bei Ermittlungen in und gegen Unternehmen,

  • die Regelung der wesentlichen verfahrensrechtlichen Fragen des Bußgeldverfahrens gegen juristische Personen und Personenvereinigungen in einer Art und Weise, die den rechtsstaatlichen Garantien gerecht wird."

Weblink

Stellungnahme Nr. 9/2013 der BRAK zur Einführung einer Unternehmensstrafe, Mai 2013 (PDF)

(Quelle: BRAK)

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