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Kolumne: „Denken Sie jetzt bitte nicht an rosa Elefanten …“

Compliance zum rosa Elefanten machen und damit ständige Präsenz im Unternehmen verankern – das ist unser Ziel. Diesmal fragen wir, ob anonyme Hinweisgebersysteme tatsächlich im Gegensatz zu einer offenen Unternehmenskultur stehen.
Von Mag. Andrea Pilecky LL.B., Mag. Roman Sartor M.B.L
30. November 2020 / Erschienen in Compliance Praxis 4/2020, S. 56

Es spricht der Vorstand: „Meine Türe steht immer offen, zu mir kann jeder mit seinen Problemen kommen. Da brauchen wir keine anonymen Meldemöglichkeiten.“ Hört sich gut an, vertrauensvoll, eine Begegnung auf Augenhöhe. Allein, wir glauben es nicht. Der Vorstand kennt zwar uns nicht – aber wir kennen ihn. Wir haben ihn nämlich einmal bei Vertragsverhandlungen erlebt. Aber nicht nur ihn, sondern auch seine damals anwesenden vier (!) Juristen. Ihren Gesichtern, ihrer ganzen Körperhaltung war, als er den Raum betrat, eines sehr deutlich zu entnehmen: die Grenze zwischen Respekt und Angst verschwimmt hier. Keine Begrüßung, keine Vorstellung seiner Mitarbeiter. Wahrnehmbares Durchatmen, als die Gespräche beendet waren und der Chef bei der (offenen) Türe draußen war.

Was wie eine gute Geschichte klingt, basiert auf einer wahren Begebenheit. Es braucht also kein Hinweisgebersystem, weil neudeutsch eine Open Door Policy gelebt wird? Diese Frage hat der europäische Gesetzgeber mit der Richtlinie (EU) 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, klar verneint: Organisationen werden verpflichtet, interne Meldekanäle einzurichten. Auch ein Blick in bekannte Standards, wie die ISO 19600, zeigt: anonyme Meldemöglichkeiten sind ein Pflichtprogramm für ein wirksames Compliance-Management-System. Ungeachtet normativer Vorgaben gibt es allerdings auch einige andere gute Gründe, warum ein Hinweisgebersystem Sinn macht.

An sich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, unterschiedliche Persönlichkeitsstrukturen von Menschen in Unternehmen in angemessenem Maße zu berücksichtigen. Was sich einer traut, ist für andere vielleicht eine große Hürde. Eine ist selbstbewusst und erhebt ihre Stimme gerne, während der Kollege von nebenan möglicherweise introvertiert oder gar in ständiger Sorge um seinen Arbeitsplatz ist. Nehmen diese Menschen nun ein Fehlverhalten wahr, ist es für sie vielleicht umso schwieriger, „einfach mal zum Chef zu gehen“ und die wahrgenommenen Umstände mitzuteilen. Geöffnete Türe hin oder her.

Menschen schätzen Missverhalten unterschiedlich ein. Die Sorge vor einer Fehleinschätzung ist real und daher der Schluss zulässig, lieber nichts sagen zu wollen. Am Ende möchte doch niemand belehrt werden oder als „Vernaderer“ dastehen. Daher ist es aber auch von Bedeutung, dass Mitarbeitern anonyme Mitteilungskanäle angeboten werden.

Transparenz und Offenheit sind zwar positive Eckpfeiler einer Unternehmenskultur. Dennoch sollte berücksichtigt werden, dass sich manche Menschen wohler fühlen, wenn sie Kritik am Fehlverhalten anderer schriftlich bzw einer neutralen Stelle mitteilen können. Diese Vorgangsweise sollte nicht nur zulässig sein, sondern auch gefördert werden und damit ebenfalls ein Teil der Unternehmenskultur sein. Für Unternehmen ist es jedenfalls besser, von einem Missstand anonym zu erfahren, als gar nicht. Das ist ähnlich wie das Verhalten von Kunden in einem Geschäft: Jene, die nichts sagen und unzufrieden gehen, sind die gefährlichsten.

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Mit „Vernadern“ oder „Verpetzen“ hat das Ganze im Übrigen wenig zu tun. Die Erfahrung in unseren Kulturkreisen zeigt, dass Hinweisgeber in der Regel sehr gewissenhaft mit ihrer Rolle umgehen und die (vorgeschobene) Angst einer missbräuchlichen Verwendung keine Grundlage findet.  All dem sollte Rechnung getragen werden. Anonyme Meldemöglichkeiten müssen nicht im Gegensatz zu einer offenen Unternehmenskultur stehen. Daher empfehlen wir dem erwähnten Vorstand: offene Türen anbieten und gleichzeitig offen sein für Menschen, die gerne im Hintergrund bleiben wollen. Nur so werden möglichst alle im Unternehmen erreicht und kann die Umsetzung eines Whistleblowing Systems gut und breitenwirksam gelingen.

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Mag. Andrea Pilecky LL.B.

Mag. Andrea Pilecky, LL.B. ist Geschäftsführerin und Gründerin der rosa elefant OG, zertifizierte Datenschutzbeauftragte und Auditorin. Sie berät Unternehmen zu allen Fragen im Bereich Kultur, Comp...

Mag. Roman Sartor, M.B.L

Mag. Roman Sartor M.B.L

Mag. Roman Sartor, M.B.L, Geschäftsführer und Gründer der rosa elefant OG. Zuvor jahrelang Geschäftsführer bei KPMG für den Bereich Compliance und Risikomanagement; davor General Legal Counsel & He...