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Einen harten Aufschlag in der Realität erlebte die Compliance-Community beim jüngsten Netzwerktreffen, auf dem WKStA, FMA, BWB und BAK ihre Hinweisgebersysteme präsentierten: Der Whistleblower-Schutz ist trotz neuem Gesetz wohl prekärer als viele dachten.
Von Mag. Klaus Putzer
08. März 2023 / Erschienen in Compliance Praxis 2/2023, S. 44

Ein volles Haus, ein hochrangig besetztes Podium und ein kontroverses Thema: besser hätte der Reigen der Compliance Netzwerktreffen im Jahr 2023 nicht eröffnet werden können. Rund 130 Gäste begrüßten Natalie Atzenberger (LexisNexis) und Dr. Peter Jonas (Austrian Standards) am 6. März bei Austrian Standards in Wien.  

Als Mit-Gastgeber und Moderator führte Martin Eckel (Taylor Wessing) kurz in das Thema „externe Meldestellen“ ein, die nach Verabschiedung des HSchG in Zukunft vermeintlich an Bedeutung gewinnen sollen.

Im Verlauf des Abends kristallisierte sich allerdings heraus, dass die Hoffnung auf einen starken Hinweisgeberschutz in Österreich (zumindest in einigen Bereichen) weiter eine Illusion bleibt.  

Zunächst gaben die vier Aufsichtsbehörden jedoch Einblicke in ihre Erfahrungen mit dem Thema Whistleblowing.


Auf dem Podium

    • Dr. Natalie Harsdorf-Borsch, LL.M, stv. Generaldirektorin/Geschäftsstellenleiterin, Bundeswettbewerbsbehörde – BWB
    • Mag. Fiona Springer, Teamleiterin Market Monitoring & Verbraucherinformation, Finanzmarktaufsicht – FMA
    • Mag. Christian Kramer, Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung – BAK
    • MMag. Dr. Marcus Schmitt, LL.M., Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption – WKStA
    • Moderation: RA Mag. Martin Eckel, LL.M., Taylor Wessing

WKStA

Bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) langten in den letzten zehn Jahren weit über 15.000 Meldungen über das webbasierte Hinweisgebersystem ein, erläuterte OStA Marcus Schmitt. Die meisten, in der Mehrzahl anonymen Meldungen, fielen freilich gar nicht in die Zuständigkeit der Behörde, die sich nur um große Wirtschaftsverfahren und politisch brisante Fälle kümmert. Nur 2,81 Prozent aller Hinweise passten zur Zuständigkeit der WKStA. Der schwammige Begriff „Korruption“ ziehe eben auch viele „Leute mit verdichtetem Rechtsbewusstsein“ (anders gesagt: Querulanten) an, so Schmitt. Die Bilanz in Form von Verfahrensausgängen fällt entsprechend „mager“ aus: 32 Diversionen, 65 Schuldsprüche und 33 Freisprüche resultierten in der letzten Dekade aus der Gesamtheit der Meldungen, die bei der WKStA von vier Staatsanwälten „im Radl“ bearbeitet werden. 

Vlnr: Peter Jonas, Martin Eckel, Fiona Springer, Christian Kramer, Natalie Harsdorf-Borsch, Marcus Schmitt, © Helmut Tremmel - leadersnet.at
Vlnr: Peter Jonas, Martin Eckel, Fiona Springer, Christian Kramer, Natalie Harsdorf-Borsch, Marcus Schmitt
FMA

„Kommen Sie zu uns, wir schützen sie so viel besser!“ reagierte Fiona Springer von der FMA auf ihren Vorredner. Tatsächlich richtet sich das Whistleblowing-System der FMA weniger an die breite Masse als an „informierte Hinweisgeber“. Seit dem Start im Jahr 2014 feilte das Team um Springer immer wieder am Wording in der Bewerbung des Systems. Anfangs sehr juristisch, wurden die Formulierung mit der Zeit lebensnaher. Meldende Personen leitet die FMA an, wie sie ihre Identität schützen können. Die Behörde interessiert sich vorrangig für die Substanz der Meldungen, nicht so sehr für die Identität der Meldenden. Drei Juristen bewerten bei der FMA die häufig sehr aufschlussreichen Unterlagen, die über den Postkasten eingereicht werden. Aus einigen hundert Hinweisen ergaben sich so 32 – teils an die EZB delegierte – Verfahren und sechs Investorenwarnungen. 52 Verfahren sind noch offen, 44 Fälle wurden an andere Behörden weitergeleitet.  

BWB

Von ähnlichen Erfahrungen wie in der FMA berichtete die stv. Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), Natalie Harsdorf-Borsch: Auch die seit 2017 betriebene Meldestelle der BWB erreichen relativ wenige, dafür sehr gezielte Hinweise (in 5 Jahren waren es 322 Meldungen). „Teilweise sind die Beschwerden so ausgefeilt, dass ich den Eindruck habe, sie wurden vom Rechtsanwalt verfasst“, erzählte Harsdorf-Borsch. Dabei nutzen auch juristische Personen teilweise den anonymen Weg. So zum Beispiel KMU, die Marktmissbrauch beklagen und Repressalien durch Vertragspartner in der Lieferkette befürchten. Innerhalb der BWB gilt eine Deadline von 48 Stunden, um auf anonyme Nachrichten zu reagieren. „Auf diese Weise sind schon einige spannende Ermittlungen entstanden“, berichtete Harsdorf-Borsch.

BAK

Ganz am Anfang der Erfahrungssammlung steht das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung und -prävention (BAK). Im Referat von Christian Kramer wird Österreichs externe Meldestelle iSd Whistleblower-Richtlinie eingerichtet, die gleichzeitig als interne Meldestelle des BMI fungieren wird. Aktuell evaluiert man verschiedene Hinweisgebersysteme, legt Prozesse fest und sucht geeignetes Personal, damit das System, wie gesetzlich vorgesehen, Ende August online gehen kann. Insgesamt 13 Beamte sind für die Meldestelle vorgesehen, darunter 8 juristische Positionen. Was die Anzahl der zu erwartenden anonymen Hinweise betrifft erwartet Kramer, „dass wir uns eher an der WKStA orientieren werden müssen“. Denn der Scope des BAK reicht von Strahlenschutz über Produkthaftung bis hin zur Korruption – eine sehr breite Themenpalette, die auch Querulanten auf den Plan ruft.

Ernüchternde Realität

Den Präsentationen folgte eine lebhafte Debatte auf dem Podium und mit dem Publikum. Dabei sorgten vor allem die Erklärungen von OStA Marcus Schmitt für Diskussionen. Er hatte für potenzielle WKStA-Whistleblower eine Warnung parat: „Der Anonymitätsschutz gilt für Hinweisgeber nur so lange, bis man sie gefunden hat.“ Zwar erfolgt der Austausch über das Hinweisgebersystem völlig anonym, trotzdem können etwa Metadaten elektronischer Dateien oder Inhalte übermittelter Dokumente Rückschlüsse auf die Identität der Meldenden zulassen. Aber auch Hinweise an sich können verräterisch sein, da sie oft Täterwissen voraussetzen. Ist der Whistleblower erst einmal im Akt – was die Strafprozessordnung (StPO) zwingend vorsieht – haben sowohl die Verteidiger beschuldigter Personen als auch die Staatsanwaltschaft Interesse daran, die Hinweisgeber-Identität zu kennen. Nur so lassen sich alle Verfahrensrechte der StPO zum Zweck der Verteidigung, Befragung etc. voll ausschöpfen. Whistleblower „sitzen dann nicht mehr am Steuer, sondern sind Passagiere des Verfahrens“, verdeutlichte Schmitt.

Ähnlich äußerte sich Christian Kramer in Bezug auf die externe Meldestelle des BAK. Als Polizeibehörde ist das BAK nicht nur an die StPO, sondern auch an das Prinzip der Amtswegigkeit gebunden: Sie muss in bestimmten Fällen von sich aus ein Ermittlungsverfahren einleiten. Wer „nur mal schnell etwas mitteilen will“, kann schnell Protagonist eines Verfahrens werden, mit allen geschilderten Konsequenzen. Auch hier „sticht“ also die StPO das HinweisgeberInnenschutzgesetz. 

Wo also sollen sich Menschen hinwenden, die Missstände in Unternehmen anonym aufzeigen möchten? An das eigene Unternehmen, an eine externe Meldestelle, an die Medien? Klar scheint, dass den allerbesten Anonymitätsschutz für Tippgeber in Österreich nach wie vor das journalistische Redaktionsgeheimnis bietet.  

Ein für die Compliance-Community nicht unbedingt erfreuliches Fazit.


Autoren

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Mag. Klaus Putzer

Mag. Klaus Putzer war von 2010 bis 2023 Redakteur bzw. Chefredakteur der Compliance Praxis. Zuvor war er in mehreren Verlagen als leitender Redakteur im Magazinbereich tätig bzw. arbeitete als frei...